Statement zum Doppelhaushalt 2023/24

Bei der jüngsten Kreistagssitzung am Mittwoch, 29. März 2023, wurde der Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024 mit großer Mehrheit angenommen. Vor der Abstimmung gab auch SPD-Fraktionsvorsitzender Jörg Neubert ein Statement zum Haushalt ab:


Jörg Neubert

Der Haushalt ist nicht zu. Er zeigt ein dickes Minus. Die finanziellen Mittel sinken. Um den Beigeordneten Andreas Stark zu zitieren: „Eine zeitnahe Verbesserung der Haushaltslage ist nicht zu erwarten. Das finanzpolitische Leitbild des Erzgebirgskreises ist insofern nicht mehr aufrechtzuerhalten.“

Die geforderten Ausgaben zur Finanzierung der gestellten Aufgaben übersteigen unsere Einnahmen. Um unseren Verpflichtungen nachzukommen, muss sogar Kredit aufgenommen werden. Da stimmt was nicht.

Wir müssten sparen oder mehr einnehmen. Nur, wo? Finale, also das Problem lösende Vorschläge können leider auch wir Sozis hier und jetzt nicht vortragen. Denn Aufgabenkürzungen oder Umlagenerhöhungen sind mit uns ebenso wenig zu machen wie Geld zu drucken. Gestatten Sie mir trotzdem ein paar Gedanken zu unserem Kreis-Doppelhaushalt.

Nach beiden Seiten – Ausgabensenkung oder Einnahmenerhöhung – sehen wir keine Optionen, das große Minus zu verhindern. Selbst die Anhebung der stabil niedrigen Kreisumlagequote um 1 %, eine für uns Erzgebirger seit Jahren heilige Kuh, rettet den Doppelhaushalt nicht. Und ich kann als Stadtrat der pro Kopf höchstverschuldeten Stadt des Landkreises nur Danke sagen für die lediglich behutsame Steigerung der Abgabe unserer Gemeinden an den Kreis. Unseren Städten und Gemeinden tut jeder Euro Kreisumlage richtig weh. Der Kreisverwaltung und den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zollen wir Anerkennung und Respekt für das Ergebnis dieser gewiss harten Verhandlung. Die nur sanfte Anhebung der Kreisumlage.

Nun finden wir im Vorbericht des Doppelhaushalts den Hinweis, dass nach dem ersten Haushaltsjahr mit den Städten und Gemeinden eventuell noch einmal über eine Nachjustierung – und das kann ja nur eine Steigerung sein – gesprochen bzw. verhandelt werden soll. Wir verstehen den Antritt der Landkreisverwaltung und natürlich erbringt unser Landkreis signifikante Leistungen, die unmittelbar vor Ort den Einwohnern zugutekommen und die Attraktivität der jeweiligen Stadt oder Gemeinde steigern.

Seien es die Spielorte der Erzgebirgischen Theater- und Orchester GmbH ETO oder die Wirkungsstätten der Eigenbetriebe von Bergbaumuseum bis Volkshochschule und Musikschule, von Baldauf-Villa bis Kulturhaus Aue und Schloss Schwarzenberg, Sportstätten vom Erzgebirgsstadion bis zur Fichtelbergschanze und und und. Und wir finden es richtig und tragen mit, dass die Sportförderung des Erzgebirgskreises nicht gekürzt wurde.

All das tut der Landkreis mittelbar für seine Gemeinden und Städte. Das tut er hier und das tut er da. Und es kommt darauf an, dass jeder Flecken im Landkreis so viel Unterstützung erhält, dass es sich dort gut leben lässt. Das ist ein landkreisinterner Leistungsausgleich. Das kostet Zeit und Kraft. Aber bitte vergessen Sie als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht, das ist ein Mannschaftsspiel. Hier gewinnt nicht allein der Stärkste oder die Größte, sondern die beste Mannschaft, und zu der zählen auch Schwache und Kleine – Gemeinden und Städte. Die Bürgerin in Oberwiesenthal trägt die Kosten für das Bergbaumuseum genauso mit wie der Bürger aus Amtsberg die Fichtelbergschanze oder das Erzgebirgsstadion in Aue. Dieser landkreisinterne Leistungsausgleich sollte einerseits jede einzelne Gemeinde solidarisch unterstützen und in Summe zu mehr Attraktivität des gesamten Erzgebirgskreises führen. Klingt gut und würde vielleicht sogar funktionieren. Ruck mr ner zam.

ABER damit sind wir nicht gerettet. Wir verteilen lediglich die restlichen Kekse und Rettungswesten solidarisch und fair. Das Schiff sinkt immer noch. Und wie wir sinken, sehen wir zum Beispiel an den demografischen Werten. Unserem Doppelhaushalt liegt die Prognose des Statistischen Landesamtes zugrunde. Demnach zählt der Erzgebirgskreis 2025 nur noch 317.210 Einwohnerinnen und Einwohner. Das ist ein Verlust von 6,1 % seit 2018, in der Legislatur eines Landrates, also innerhalb von sieben Jahren. In absoluten Zahlen sind das 20.610 Einwohner. So viel wie keine erzgebirgische Stadt allein Einwohner hat. So viel wie Stollberg und Zschopau zusammen.

Der ländliche Raum verliert gegenüber den Ballungszentren Dresden und Leipzig. Der sächsische kommunale Finanzausgleich muss neu gedacht und schnell gemacht werden, denn die Einnahmendefizite der Landkreise sind strukturell. Da stimmt was nicht.

Unser Landkreis kann unter diesen Voraussetzungen gerade so den Status quo sichern und bezahlt selbst das mit Krediten und unter herben demografischen Verlusten. Der Kampf ums Geld darf nicht zwischen unseren Städten und Gemeinden oder zwischen den Landkreisen stattfinden. Die Frontline befindet sich zwischen ländlichem Raum und Ballungszentrum. Wenn junge Leute unseren Landkreis verlassen, werden die Alten noch mehr und noch unzufriedener. Und das ist auch eine Frage der demokratischen Ordnung bzw. des Erhalts der demokratischen Ordnung.

Ja, wir Sozis, wir wünschten uns mehr Mittel im sozialen Bereich, zum Beispiel bei Kita-Invest. Mehr Mittel für erneuerbare Energiegewinnung für die Betreibung der landkreiseigenen Immobilien. Eine PV-Anlage auf jeder Schule, jedem Verwaltungsgebäude, und auf jedem Betriebshof eine Biomasse(Hackschnitzel)-Energieanlage. Wenn wir in diesen harten Zeiten investieren könnten in erneuerbare Energien, könnten wir unsere Immobilien in Zukunft kostengünstiger betreiben und enorme Kosten einsparen.

Aber bei jeder Investition, sei es am Bergbaumuseum Oelsnitz oder am Gymnasium Zschopau oder, oder … explodieren die Baukosten. So freuen wir uns auch, dass mittels dieses Doppelhaushalts die begonnenen Maßnahmen vollendet werden können. So auch am Katastrophenschutzhof in Annaberg-Buchholz. Die Energiekrise, und das ist die Ursache der Inflation, zwang uns hier zu energetischen Umplanungen hin zu erneuerbaren, krisensicheren Energieträgern. Das sehen wir Sozis als kleines grünes Pflänzchen. Das ist der richtige Weg. Not macht erfinderisch.

Sparen heißt Verzichten. Worauf können wir verzichten? Auf den Verkehrslandeplatz in Jahnsdorf? Einsparpotenzial? 100.000 Euro? Ist auch Geld.

Sparen. Das konnten und können wir Erzgebirger. Jede einzelne Erzgebirgerin und ihr Erzgebirger ist zamm namerisch, auch der Landkreis. Das zeigten die letzten Haushalte.

An zwei Stellen dürfen wir aber nicht sparen, denn dort geht es um unsere Existenz.

Erstens an unserer Zukunft, siehe meine Ausführungen zur Demografie. Der neu zu machende kommunale Finanzausgleich wird zu unserer Existenzforderung gegenüber dem Freistaat Sachsen.

Und zweitens, an einer weiteren Stelle können wir uns das Sparen nicht mehr leisten. Beim Personal! Denn das gibt es neu und topausgebildet selbst für Geld derzeit nicht zu kaufen. Stichwort Fachkräftemangel! Auch in der Verwaltung!

Unter diesem Gesichtspunkt sollte man sich die zweiseitige Stellungnahme des Personalrates des Landratsamtes noch einmal anschauen. Dort stehen im Übrigen nicht nur einige bedenkenswerte Aspekte, sondern nachdenkenswerte Hinweise zur Sicherung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Personals. Verwaltung ist nun mal trotz Digitalisierung Menschenwerk. Und somit braucht es ausreichende WoMen-Power in Quantität und Qualität, mit fachlicher Kompetenz und Motivation. Forderungen nach Hängematten oder veganer Pausenversorgung habe ich auf den zwei Seiten des Personalrates nicht gefunden.

Um auf das Zitat von Andreas Stark, Beigeordneter des Landkreises, zurückzukommen: „Eine zeitnahe Verbesserung der Haushaltslage ist nicht zu erwarten. Das finanzpolitische Leitbild des Erzgebirgskreises ist insofern nicht mehr aufrechtzuerhalten.“ Das ist traurig und strategisch nicht akzeptabel. Sparen Ja. Abwürgen Nein. Und wenn es um die Existenz geht, müssen wir mit dem Freistaat ernst reden. Alles für sich allein und in Dreisamkeit geht nur gemeinsam. Wir sind dabei.