Plus-Bus: Wenn Fahrgastwünsche auf der Strecke bleiben

Holger Haase

Die Einführung eines sogenannten Plus-Bus-Netzes im Erzgebirge kann nur begrüßt werden, die damit verbundenen Ziele erscheinen höchst erstrebenswert: verlässliche Taktfrequenz an Wochentagen wie an Wochenenden, günstige Übergangszeiten zwischen Bus und Bahn, die bestmögliche Einbindung des Schülerverkehrs und die Förderung des touristischen Angebotes – wir sind ja nun Weltkulturerbe. Es gilt zudem, ein Versprechen des sächsischen Ministerpräsidenten umzusetzen: Die Bewohner der ländlichen Regionen sollen sich nicht „abgehängt“ vorkommen.

Wie sieht es nun ab 15. Dezember 2019, dem Tag des großen Fahrplanwechsels, aus? Entsprechen die Änderungen wirklich den Wünschen der Fahrgäste? Die Fahrgäste, die bereits in die neuen Pläne geschaut haben, äußern sich zuerst gegenüber dem Fahrpersonal – für sie ist der Busfahrer der wichtigste Ansprechpartner. Um es vorwegzunehmen: Die Reaktionen auf die angekündigten Plus-Bus-Verbesserungen fallen unterm Strich ernüchternd aus.

Viel Beifall findet zunächst die nun im zweiten Jahr betriebene Expressbus-Linie 383 von Aue nach Chemnitz mit wechselnden Anschlussbeziehungen nach Schneeberg und Schwarzenberg. Sie bekommt den Titel „Plus-Bus“ quasi als Qualitätssiegel. Bei den meisten anderen Linien, die dieses Siegel erhalten, bestand der regelmäßige Fahrzeit-Takt ebenfalls schon lange Zeit; Fahrzeitverschiebungen sollen nun tatsächlich bessere Umsteigemöglichkeiten bringen. Dies muss jetzt die Praxis zeigen.

Übereinstimmend kein Verständnis hingegen äußern Fahrgäste, die auf den großen Linien von Chemnitz ins mittlere Erzgebirge unterwegs sind. Die seit 1927 mit großem Erfolg betriebene Strecke von Chemnitz über Zschopau nach Olbernhau, Linie 207, wird ab 15. Dezember in Marienberg gekappt, es geht nicht mehr weiter nach Olbernhau. Die Linie 206 Chemnitz–Marienberg (kein Plus-Bus-Siegel) endet neu, bis auf eine Ausnahme, in Zschopau. Sie konnte bisher in Spitzenzeiten einen Halbstunden-Takt zwischen Chemnitz und Marienberg sicherstellen – doch die Weiterfahrt nach Marienberg bzw. der Einsatz ab dort wurden ersatzlos gestrichen.

In aller Deutlichkeit: Nicht wenige Menschen, die die Linie 207 Chemnitz–Olbernhau bisher nutzten, werden jetzt einen weiteren Umstieg in Kauf nehmen müssen. Menschen, die einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich haben, die aus der Schule oder Berufsschule, vom Arzt- oder Krankenhausbesuch oder mit schweren Taschen vom Einkaufen kommen. In Marienberg haben die Fahrgäste acht Minuten Übergangszeit Richtung Chemnitz, neun Minuten Richtung Olbernhau. Es ist den täglichen Nutzern bekannt, dass der Fahrplan auf dieser Linie bei der immensen Verkehrsbelastung auf der B 174 – selbst ohne Flockenwirbel – nur als Orientierungshilfe gilt. Und es ist bekannt, wie es um Aufenthaltsmöglichkeiten in Marienberg bei davongefahrenem Anschluss steht: Eine schutzbietende Wartehalle gibt es nicht, die Toiletten befinden sich zweimal um die Ecke.

Aus Chemnitz kommend, soll der Umstieg aus der Linie 207 in Marienberg nach Olbernhau in die nun ebenfalls als Plus-Bus bezeichnete Linie 490 (Annaberg-Buchholz–Olbernhau) erfolgen. Die Erweiterung dieser Linie 490, die zuletzt nur zwischen Annaberg-Buchholz und Marienberg verkehrte, war ein lang gehegter politischer Wunsch, die sogenannte „Stärkung einer Querverbindung im Erzgebirge“. Hier stellen sich etliche Fragen: Gab es dazu eine Bedarfsanalyse? In welcher Weise wurde im Vorfeld solcher einschneidenden Veränderungen mit direkt Betroffenen gesprochen, bezog man den Fahrgastbeirat ein?

Der Verweis des Verkehrsverbundes Mittelsachsen VMS auf die bestehende direkte Zugverbindung Olbernhau–Chemnitz ist folgerichtig. Für die Bewohner der Orte Ansprung, Zöblitz, Rittersberg, Pobershau, Hüttengrund usw. wirkt er jedoch wie eine Ohrfeige. Sie leben fernab jeglicher Bahnanschlüsse; der Abzweig von der Flöhatalbahn nach Marienberg wird seit vielen Jahren nur noch für Militärtransporte der Bundeswehr genutzt. Sieht so die derzeit viel beschworene Stärkung des ländlichen Raumes aus?

Für Touristen, die bisher auf der Linie 207 aus Chemnitz mit nur einem Umstieg über Olbernhau nach Seiffen kamen, wird es ebenfalls umständlicher – selbst wenn alles reibungslos läuft. Ähnlich geht es dem Fahrgast, der sich seit Jahrzehnten für eine Verbindung auf der Linie 210 von Chemnitz nach Bärenstein oder Oberwiesenthal begeistern konnte: umsteigefrei, mehrmals am Tag. Auch dieses Angebot ist ab sofort wochentags gestrichen. Bepackt mit Koffern, Schlitten und Skiern dürfen die Nutzer dieser Linie jetzt den Busbahnhof in Annaberg-Buchholz notgedrungen näher kennenlernen.

Es ließen sich durchaus noch weitere Kritikpunkte aufzählen: gestrichene Abendverbindungen auf den großen Relationen, unbeachtete Anschlüsse der kleineren Dorflinien an Hauptverbindungsstrecken usw.

Sicher werden sich gleichfalls positive Effekte einstellen – Ideen und Ziele des Plus-Bus-Verkehrs sind, wie eingangs erwähnt, durchaus begrüßenswert. Wenn andererseits zu viele Fahrgäste im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke bleiben“, wird der Sinn des Plus-Bus-Systems von Anfang an in Frage gestellt.

Holger Haase, SPD-Fraktion

Plus-Bus 207: Wer aus Richtung Chemnitz nach Zöblitz, Ansprung oder Olbernhau möchte, muss zukünftig in Marienberg umsteigen. (Foto: Holger Haase)

Jörg Neubert

Der neue Fahrplan zum 15. Dezember 2019 bringt umfangreiche Änderungen, einige davon sind, wie Holger Haase schreibt, durchaus kritikwürdig. Dennoch hoffen wir als SPD-Fraktion, dass die Änderungen unterm Strich ein Schritt in die richtige Richtung sind, damit bisherige Fahrgäste weiterhin den ÖPNV nutzen und möglichst neue Fahrgäste gewonnen werden. Das muss überprüft werden, deshalb fordern wir nach dem Fahrplanwechsel eine Analyse und Bewertung der Fahrgastzahlen – eine Evaluierung, um den ÖPNV noch besser zu machen.

Jörg Neubert, Vorsitzender der SPD-Fraktion