ÖPNV im Erzgebirgskreis: auf (k)einem guten Weg?

Holger Haase

Die zweite Sitzung des Technischen Ausschusses im Erzgebirgskreis am 4. November 2019 beherrschte ein einziges großes Thema: der derzeitige Stand des ÖPNV, also des öffentlichen Personennahverkehrs, mit seinem Teilbereich SPNV, dem schienengebundenen Nahverkehr – und Ausblicke in die nächste Zukunft ebendieser Bereiche.

Rede und Antwort standen dazu in erster Linie der Geschäftsbereichsleiter Verkehr/Infrastruktur beim Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS), Mathias Korda, sowie der Geschäftsführer der kreiseigenen Regionalverkehr Erzgebirge GmbH (RVE), Roland Richter.

Berichte zu Aufgaben und Ausgaben von VMS und RVE

Mathias Korda berichtete zum umfangreichen Aufgabengebiet des VMS, zu Investitionen, zum Ausbaustand des Chemnitzer Modells und dessen weiterer Entwicklung sowie in kurzer Fassung zu den Plus- und Taktbus-Linien.

Roland Richter setzte dies für den Busverkehr im Erzgebirgskreis fort, wies auf Fortschritte im touristischen Verkehr hin und bestätigte den Beginn des Plusbus-Liniennetzes zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2019. Er nahm weiterhin Stellung zu dem für 2019 und 2020 geschätzten ungeplanten Mehrkostenaufwand für die RVE (Tischvorlage, 2019 knapp 900.000 Euro, 2020 reichlich 1,1 Millionen Euro).

Zur Begründung nannte er unter anderem den Tarifvertragsabschluss für die RVE-Beschäftigten, gestiegene Kraftstoffkosten, zu geringe Auslastung der noch in der Anfangsphase befindlichen zusätzlichen Angebote und erhöhten Finanzbedarf bei der Gewinnung neuer Arbeitskräfte bzw. Azubis.

Diskussion zu Anfragen aus den Fraktionen

Nach Abschluss seiner Ausführungen entwickelte sich noch eine recht umfangreiche Diskussion zu Anfragen aus verschiedenen Fraktionen zu den Themen:

  • Gründung einer Landesverkehrsgesellschaft / Einführung eines 365-Euro-Tickets
  • bessere Auskünfte über Verbindungsangebote durch moderne Medien / dynamische Fahrgastinformation
  • weitere touristische Linienangebote / Wiedereinführung eines Wochenendverkehrs im Sehmatal

Forderung nach Landesverkehrsgesellschaft

Die Forderung von SPD-Verkehrsminister Martin Dulig nach einer Landesverkehrsgesellschaft wies Landrat Frank Vogel vehement zurück. Zum einen gäbe es keinerlei Informationen, wie eine solche Gesellschaft aussehen solle, zum anderen fehlten sämtliche rechtliche Voraussetzungen zur Auflösung der bestehenden Verkehrsverbünde. Des Weiteren kreidet man dem Minister die Nichtherausgabe von Informationen einer unabhängigen Expertenkommission zur Sinnhaftigkeit bzw. zum wirtschaftlichen Nutzen einer solchen Landesverkehrsgesellschaft an. Der positive Ansatz einer Strukturverbesserung im Sinne von wegfallenden Mobilitäts- und Tarifeinschränkungen über Verbundgrenzen hinweg blieb unbenannt.

365-Euro-Ticket

Die Einführung eines 365-Euro-Tickets könne seitens des VMS nicht empfohlen werden, brachte Mathias Korda zum Ausdruck. Ein Finanzierungsmodell wie zum Beispiel in Wien ließe sich nicht einfach auf einen Besiedlungsraum wie das Erzgebirge übertragen. Andererseits wäre es natürlich eine politische Willensentscheidung. Bei entsprechender Umsetzung müssten allerdings notwendige Investitionen in eine moderne Infrastruktur überdacht werden.

Bessere Fahrgastinformation

Kritik am Fahrplan-Informationssystem konnte durch Mathias Korda und Roland Richter relativ entkräftet werden; zudem stellte Richter hier weitere umfangreiche Investitionen zur dynamischen Fahrgastinformation in Aussicht. So könne man in naher Zukunft nicht nur Fahrplanauskünfte über diverse Apps abrufen, sondern beispielsweise auch die genaue tatsächliche Ankunftszeit des gewünschten Verkehrsmittels – durch dessen ständige Erreichbarkeit über GPS.

Weitere Linienangebote

Die Forderung nach weiteren touristischen Linien wies Roland Richter mit Blick auf die Finanzsituation des Verkehrsbetriebes zurück; ebenso sieht er derzeit keinen ausreichenden Bedarf zur Wiederaufnahme des Wochenendverkehrs im Sehmatal.

Hierzu gibt es allerdings weiteren Gesprächsbedarf zwischen allen Beteiligten.

Mein Fazit

Mich selbst störte an dieser Runde, dass augenscheinlich kein Anwesender tatsächlicher Nutzer des ÖPNV ist. Die alltäglichen Probleme der Fahrgäste ergeben weitere Gesprächsnotwendigkeiten. Wir verzeichnen zum Beispiel einen großen Fahrgastverlust durch unsägliche Umleitungen, damit verbundene unvertretbare Fahrzeitverlängerungen, zeitweise Abhängung ganzer Ortsteile vom ÖPNV (hauptsächlich in schulfreien Zeiten) und nicht einzuhaltende Anschlussbeziehungen.

Linie 208 Gelenau–Chemnitz

Die Vertaktung zwischen Bahn und Bus sowie zwischen Regional- und städtischem Nahverkehr lässt weiterhin zu wünschen übrig. Ein krasses Beispiel ist die Einkürzung der Linie 208 Gelenau–Chemnitz auf die Straßenbahnendhaltestelle Altchemnitz mit dem Ziel, einen „Parallelverkehr in der Stadt“ zu vermeiden. Inzwischen wurde seitens der Chemnitzer Verkehrs-AG (CVAG) die Straßenbahnlinie 6 nach Altchemnitz eingestellt, den Fahrgästen bleibt nur der Umstieg zur aus Stollberg kommenden Chemnitzbahn (halbstündiger Takt). Bei verspätetem Eintreffen des Busses warten Passagiere gern mal 25 Minuten bis zum nächsten Anschluss. Gerade im Winter bei mäßigen Aufenthaltsmöglichkeiten in Altchemnitz ein Genuss … Umgekehrt treffen die Bahnen oft nicht zur Busabfahrt ein – Entgleisungen, Unfälle mit PKWs, nicht funktionierende Weichen sind in dieser Jahreszeit keine Seltenheit. Über diese Missstände berichten die Fahrgäste tagtäglich – leider nur dem Fahrer. Die Folge: Kaum ein älterer Fahrgast verirrt sich noch auf die Linie 208. Alternativen lauten: Dem Enkel 10 Euro für die Fahrt mit dem PKW in die Hand drücken – oder Verzicht.

Plusbus zerstört die umsatzstarken Linien 207 und 210

Mit Beginn des Plusbus-Linienverkehrs zum Fahrplanwechsel zerstören wir ausgerechnet zwei unserer wichtigsten und wirtschaftlich sinnvollsten Linien ins Erzgebirge. Grund hierfür ist die Brechung der Linien 207 von Chemnitz nach Olbernhau mit Anschlussbeziehung nach Seiffen (geplanter Umstieg in Marienberg in die Linie aus Annaberg-Buchholz) und der Linie 210 von Chemnitz nach Oberwiesenthal in Annaberg-Buchholz (Umstieg in die Linie 411).

Die Linie nach Olbernhau wird seit 1927 mit hoher Fahrgastauslastung und wirtschaftlicher Sinnhaftigkeit betrieben, sie gehört wie die 210 zu den umsatzstärksten Linien des Verkehrsunternehmens. Allein der Einzugsbereich des beruflichen Schulzentrums in Zschopau nach Schließung der Marienberger Berufsschule lässt die vorgesehene Maßnahme äußerst zweifelhaft erscheinen. Von Berufspendlern und Touristen, die gern vom Stress des Autofahrens Abstand nehmen wollen, ganz abgesehen.

Bei der Bedienung der Linie 210 nach Oberwiesenthal erlebe ich immer wieder Fahrgäste, die regelrecht dankbar auf die Knie fallen, wenn sie erfahren, dass das Umsteigen in Annaberg mit schwerem Gepäck entfällt (aus dem Fahrplan ist dies nämlich heute schon kaum ersichtlich). Auch damit ist dann Schluss …

Fahrgastwünsche bleiben meist ungehört

Tatsächliche Wünsche und Forderungen unserer Fahrgäste nach einem modernen, zumindest zeitgemäßen ÖPNV bleiben weitestgehend ungehört. Auf der anderen Seite steigen die Kosten zur Erhaltung des Bestandsnetzes ins Utopische. Hier sollte Ursachenforschung betrieben werden. Als erste Begründung dafür Tarifabschlüsse für die Beschäftigten zu nennen, die aus meiner Sicht gerecht und bei Weitem nicht überzogen sind, erscheint mir nicht ergebnisorientiert, ebenso wenig die Androhung einer Reduzierung des Angebotes.

Holger Haase
(SPD-Fraktion, Mitglied im Technischen Ausschuss)