Angemessene Unterkunftskosten nach SGB II: Statement zur Richtlinie und deren Fortschreibung

Bei der 9. Sitzung des Kreistages am 15. Juni 2016 wurde unter TOP 8 über die Fortschreibung der Richtlinie zur Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) abgestimmt. Der Landkreis hatte die Werte für „angemessene Unterkunftskosten“, die sich nach der Region und nach der Personenzahl im Haushalt richten, angepasst. Die Beschlussvorlage wurde mit großer Mehrheit angenommen, allein die SPD-Fraktion stimmte dagegen – die Gründe dafür legte Kreisrat Enrico Haustein in einem Statement dar. Die fortgeschriebene Richtlinie tritt am 1. Juli 2016 in Kraft.

Hintergrund

Der Erzgebirgskreis übernimmt als kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und als örtlicher Träger der Sozialhilfe die Kosten der Unterkunft und Heizung. Die für die Unterkunft festgelegten Werte müssen mindestens aller zwei Jahre geprüft und gegebenenfalls neu festgelegt werden.

2013 ließ der Landkreis durch die Firma Rödl & Partner GbR Nürnberg ein Gutachten erstellen, um die Angemessenheitsgrenzen bei den Kosten der Unterkunft zu ermitteln. Dies geschah mithilfe einer repräsentativen Datenerhebung und einer wissenschaftlichen Datenauswertung. Die Firma stellte abschließend ein Berechnungstool zur Verfügung, mit dem das Landratsamt selbstständig die Daten im Erzgebirgskreis auswerten kann.

Für die Fortschreibung der Richtlinie erhob das Landratsamt im Zeitraum September 2015 bis Januar 2016 Daten, die Datenauswertung erfolgte im Februar 2016. Die Hochrechnung ergab, dass die Werte angepasst werden müssen und monatliche Mehrkosten in Höhe von ca. 50.000 Euro anfallen könnten, also jährliche Mehrkosten um die 600.000 Euro.

Enrico Haustein

Statement von Kreisrat Enrico Haustein zur Richtlinie und deren Fortschreibung:

1. Das Konzept ist nicht schlüssig, denn: Die Einordnung der Regionen ist nicht nachvollziehbar.

– Die Regionen zeigen einen vertikalen Schnitt durch das Erzgebirge – das wirtschaftliche Gefälle dürfte aber eher horizontal sein.

– Die Orientierung an der politischen Gemeinde ist nicht nachvollziehbar. So bekommt ein Leistungsberechtigter in Reitzenhain dieselben Wohnkosten wie in Marienberg Innenstadt.

– Innerhalb der Regionen soll eine Verweisbarkeit der Leistungsberechtigten gewährleistet sein. Danach kann jemand aus Deutschneudorf nach Thermalbad Wiesenbad verwiesen werden, nicht aber jemand aus Tannenberg oder Ehrenfriedersdorf, was jeweils gleich nebenan liegt.

2. Das Konzept ist nicht schlüssig, denn: Die ermittelten Werte geben keinen repräsentativen Querschnitt wieder.

– Es ist nicht sichergestellt, dass aus allen Ortsteilen und Gemeinden des Erzgebirgskreises ausreichend Daten ermittelt wurden, abgestellt wird insoweit lediglich auf die zugehörige Region. So kann beispielsweise Bärenstein den Werten der Region D untergeordnet worden sein, obwohl für Bärenstein selbst gar keine eigenen regionalen Daten ermittelt wurden. Dasselbe Problem stellt sich für die Frage der Verfügbarkeit solchen Wohnraums, auch hier wurde nur auf die Region als solche abgestellt, nicht aber auf die einzelnen betroffenen Ortsteile und Gemeinden.

– Es ist nicht sichergestellt, dass die konkret ermittelten Wohnungen auch tatsächlich dem einfachen Wohnungsstandard entsprechen. Es wurde lediglich eine bestimmte Anzahl von Wohnungen ermittelt, ohne ausreichend zu prüfen, dass es sich bei solchen Wohnungen auch tatsächlich um die richtigen Wohnungen handelt.

– Der Beobachtungszeitraum September bis Oktober 2013 war viel zu kurz.

3. Die Richtlinie ist problematisch, da sie örtliche Vergleichsräume hat, die im ländlichen Raum größer sind als Grundschulbezirke.

Innerhalb des örtlichen Vergleichsraumes ist es Leistungsberechtigten nach dem SGB II zumutbar, in eine Wohnung umzuziehen, die den Kosten laut Richtlinie entspricht. Der örtliche Vergleichsraum darf somit eine Größe nicht überschreiten, bei der soziale Kontakte mangels öffentlicher Verkehrsinfrastruktur durch einen Umzug abgeschnitten werden.
Nicht die SGB-II-Vorgaben sind hier das Problem, sondern ihre unzureichende Umsetzung im Landkreis, in Form der Richtlinie.

4. Die Richtlinie ist problematisch, da die Hochrechnungen zum Kostenaufwand nicht schlüssig sind.

Der Beschlussvorlage ist zu entnehmen, dass monatliche Mehrkosten in Höhe von ca. 50.000 Euro anfallen könnten. Wie wurden diese Mehrkosten prognostiziert? Schließlich müsste das Jobcenter in der Vergangenheit alle Bedarfsgemeinschaften auf die 2013 ermittelten Werte gekürzt haben. Durch die Fortschreibung entstehen direkte Mehrkosten also nur bei den Bedarfsgemeinschaften, die trotz der Kürzung in ihren Wohnungen geblieben sind, sowie bei neuen Bedarfsgemeinschaften. Beim Großteil der gekürzten Bedarfsgemeinschaften kommen Mehrkosten erst indirekt über die zukünftigen Betriebskostenabrechnungen und die dadurch steigenden Vorauszahlungen.

Wenn die Fortschreibung kein „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat, dann drohen dem Landkreis und den umlagepflichtigen Gemeinden Höchstwerte entsprechend dem Wohngeldrecht mit Sicherheitszuschlag. Diese liegen im Schnitt ca. 100 Euro höher.

 

  • Beschlussvorlage Richtlinie zur Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung: 2016-05-31_KT_Top8_Vorlage1 (PDF-Datei, 2 Seiten)
  • Änderung § 2 Abs. 4, angemessene Unterkunftskosten: Aenderung § 2 Abs. 4 (PDF-Datei, 1 Seite)